Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte….

Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen. Ich würde nicht mehr so perfekt sein wollen, ich würde mich mehr entspannen. Ich würde versuchen, nur mehr gute Augenblicke zu haben. Falls Du es noch nicht weißt, aus diesen besteht nämlich das Leben; nur aus Augenblicken; vergiss nicht den jetzigen.
(Jorge Luis Borges, argent. Schriftsteller, 1899-1986)

Tja, wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte… Vor einigen Jahren las ich das Buch „Dieser Mensch war ich“ von Christiane zu Salm. Sie beschreibt darin Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, die ihr Leben im Rückblick betrachten, in dem Wissen, dass sie nicht mehr lange leben. Es berührte mich sehr und direkt nach dem Lesen nahm ich mir vor, intensiver und bewusster zu leben, damit ich am D-Day garantiert nicht mit Wehmut um verpasste Gelegenheiten trauern würde. Aber wie das vermutlich bei den meisten Menschen so ist – der Alltagsstrudel sorgte dafür, dass für all meine guten Vorsätze keine Zeit blieb.  Erst als ich selbst in der Situation der Sterbebegleiterin war, begriff ich tatsächlich ganz intensiv, wie schnell und unvorbereitet die Endlichkeit zuschlägt. Es wurde soviel klarer, wie kurz das Leben ist und die Frage, ob es genug gelebt worden ist, kommt mir immer wieder, bis zum heutigen Tag. Das Leben rauscht an uns vorbei, mit viel Routine erledigen wir unsere geliebten und ungeliebten Pflichten, hechten von einem Termin zum nächsten. Vieles ist austauschbar geworden – besonders auch in Beziehungen. Das Gras ist ja auf der anderen Seite immer grüner. Höher, schneller, weiter – zum nächsten Ziel…und wenn das erreicht ist, schnell weiter.

Midlifekrise! Oder war es das jetzt???

Ins Coaching kommen oft Menschen, die sich in der Mitte des Lebens fragen „war es das jetzt?“, „wollte ich wirklich so leben?“. Während die einen den Partner austauschen, sich den Porsche kaufen oder ähnliches veranstalten, um dem Leben eine äußerliche Wendung zu geben, von denen sie sich innerliches Glück versprechen, gibt es gleichzeitig Menschen, die sich auf einen Weg machen, der viel anstrengender, aber am Ende deutlich nachhaltiger und wertvoller ist. Der Weg zum eigenen Wesenskern, zur Beantwortung der Fragen „Wer bin ich?, Was brauche ich um glücklich zu sein? Was macht mich aus?“ Und genau dann fällt es viel leichter, sich Zeit zu nehmen, achtsame Momente zu schaffen, die Zeit mit den richtigen Dingen zu verbringen, die so viel Energie auch für die ungeliebten Aufgaben geben. Und ich bin fest überzeugt, dass dann am Ende des Lebens viel weniger Wehmut entsteht mit Satzanfängen wie „hätte ich doch nur…“

Wann ist der Anfang vom Ende unseres Lebens?

Wenn wir annehmen, dass das Sterben schon mit der Geburt beginnt und wenn wir annehmen, dass der Tod uns schon unser ganzes Leben begleitet, wären wir dann in der Lage weniger Angst davor zu haben? Und wären wir damit in der Lage, achtsamer mit diesem einen, kurzen Leben umzugehen? Würden wir Entscheidungen für und gegen Menschen, für oder gegen den Job anderes treffen? Ich glaube ja – ich sehe sowohl in meiner Lebensgeschichte als auch bei Klienten die großen Veränderungen und Chancen nach einer großen Krise. Wenn diese durchlitten und durchlebt ist, öffnen sich plötzlich viele neue Türen, es werden Kräfte und Energien frei, die vorher undenkbar waren. Einer meiner Lieblingszitate von Aristoteles ist „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen“. Manchmal ist es nicht einmal mehr ein Wind, es tobt ein Sturm und wir haben das Gefühl, völlig die Kontrolle zu verlieren. Zu lernen, dass auch das in Ordnung ist, ist wichtig. Es ist erlaubt, einfach nur da zu sitzen, den Sturm toben zu lassen – weiter zu atmen reicht dann schon aus und mehr ist manchmal gar nicht mehr möglich.

Der Nachruf auf dich selbst

Stell Dir einmal vor, Du müßtest einen Nachruf auf Dich selbst schreiben. Wie Dein Leben war, Deine großen und kleinen Stationen und Momente, was hat Dich ausgemacht? Woran werden sich die Menschen erinnern, wenn sie an Dich denken? Womit hast Du andere glücklich gemacht oder verletzt?

Und plötzlich fällt Dir vielleicht auf, was Du gerne gesagt hättest. Dinge, die Du immer einmal machen wolltest, aber für die keine Zeit oder keine Gelegenheit war. Wie wärst Du gerne gewesen? Woran sollen sich Deine Mitmenschen erinnern, wenn Du einmal von ihnen gehst? Daran, dass Du immer tapfer von 7 bis 22 Uhr im Büro gesessen hast? Daran, dass die Fenster immer besonders sauber geputzt waren? 🙂 Oder möchtest Du, dass Deine Kinder erzählen, dass Du immer ein offenes Ohr hattest, dass Du Zeit für Deine Freunde hattest, ein tolles Hobby voller Leidenschaft verfolgt hast? Der Pizzaabend mit Mama immer der schönste der ganzen Woche war? Du an den Ort Deiner Träume gereist bist? Sicher fällt Dir vieles dazu ein, wenn Du Dir einmal die Zeit dafür nimmst, Dir Blatt und Stift nimmst und versuchst, diesen Nachruf auf Dich zu schreiben. Es ist sicher keine einfache Aufgabe, aber eine lohnenswerte, um sich bewusst zu machen, was vielleicht noch wichtig für Dich sein könnte.

Die Liste vor der Kiste oder die Sache mit dem Löffel

Bei der Liste vor der Kiste kam ich noch mit, auch wenn ich den Ausdruck etwas merkwürdig fand. Manche kommen ja heute nicht in die Kiste sondern in die Urne – von den anderen Bestattungsmöglichkeiten möchte ich jetzt mal nicht reden. Die Löffelliste wird auch Bucket-List genannt und bezeichnet alle Dinge, die Du in Deinem Leben noch tun möchtest, bevor Du den Löffel abgibst. Der Begriff leitet sich von einer englischen Redewendung ab. „To kick the bucket“ meint in der Umgangssprache: „Den Löffel abgeben“. Entsprechend heißt diese Liste im englischen Sprachraum „Bucket-List“, zu deutsch: Löffelliste. Es gibt viele Varianten so eine Liste zu erstellen. Meine ist zum Beispiel gar keine Liste sondern eine Collage, die durch eine Visionsreise in meiner Coachingausbildung entstanden ist. Ich liebe es, dieses Bild anzuschauen – gerade in Zeiten, in denen es nicht so rund läuft, freue ich mich zu sehen, was ich noch so vorhabe.

Manche kleben sich auch lauter schwarz-weiß Bilder mit ihren Träumen und Zielen auf. Wenn ein Ziel erreicht ist, überkleben sie es mit dem gleichen, aber farbigen Bild. Der Weg ist aber immer der Gleiche – überlege: was möchte ich noch von der Welt sehen? Welche Dinge möchte ich noch erleben? Mit welchen Menschen möchte ich mehr zu tun haben, welche Art von Beziehungen leben? Welches Instrument möchte ich gerne spielen? Welchen Sport ausprobieren? Wo möchte ich ehrenamtlich aktiv werden? Was möchte ich noch lernen? Diese Liste ist nichts, was an einem Tag entstehen muss – es kann ein Prozess sein. Wichtig ist, dass die Liste, die Collage oder wie es auch aussieht, immer sichtbar ist. Bilder prägen sich besser ein als Worte – es kann also gerade für visuelle Menschen wichtig sein, dies immer wieder zu sehen. Nimm Dir immer mal wieder ein Ziel vor – das Glücksgefühl, es ausprobiert und vielleicht auch erreicht zu haben, wird Dir den Rückenwind für das nächste Ziel geben. Und es wird vermutlich auch völlig neue Türen öffnen und wunderbare neue Menschen in Dein Leben bringen.